2011 zählte das Statistische Bundesamt 2.045 Krankenhäuser in Deutschland. Jährlich werden dort 18 Millionen Patienten behandelt. Diese hohe Zahl ist aber seit Jahren mit steigenden Kosten verbunden. Waren es 2006 noch 58 Milliarden Euro, beliefen sich die Kosten aller Einrichtungen 2011 bereits auf 73 Milliarden Euro. Deshalb stehen Krankenhäuser unter großem Druck, einerseits ihre Kosten zu reduzieren, andererseits die Qualität ihrer Leistungen zu verbessern, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Dabei gibt es insbesondere drei Gründe, die den Markt verändern: Zum ersten belasten wachsende Ausgaben für Energie die Betriebshaushalte der Krankenhäuser, zudem setzen staatlich vorgegebene Klimaziele verbindliche Grenzwerte. Krankenhäuser haben einen deutlich höheren spezifischen Endenergieverbrauch (zwischen Faktor 1.7 bis fast 4.0) sowohl beim Strom als auch bei den Brennstoffen im Vergleich zum Baugewerbe, Büro- und Herstellungsbetrieben sowie Handel. Zum zweiten zwingen Veränderungen im Vergütungssystem (DRG) die Leistungserbringer dazu, nachhaltig und profitabel zu sein. Zum dritten fordern der Wettbewerb untereinander und die zunehmende öffentliche Wahrnehmung weitere Anstrengungen bei der medizinischen Qualität und beim Patientenkomfort.
Vom Green Hospital zum Blue Hospital
Vor diesem Hintergrund suchen Betreiber nach Auswegen aus der Belastungsspirale, die aber häufig vor allem aus rein finanziellen Gesichtspunkten getroffen werden. Zuletzt wurden Konzepte für Green Hospitals entwickelt und diskutiert, um insbesondere im Bereich der Energie-und Emissionskosten Verbesserungen zu erreichen. Eingeschlossen in derartige Betrachtungen waren Teilaspekte wie grüne Gebäudetechnik oder grüne Informationstechnologie (Green IT). Noch einen Schritt weiter geht künftig ein neues Zertifizierungsverfahren unter der Bezeichnung Blue Hospital. Es wurde als Anwendungsregel von der VDE-Normungsorganisation DKE Deutsche Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik im DIN und VDE (VDE/DKE) entwickelt und dient dem VDE Prüf- und Zertifizierungsinstitut als Grundlage für die Umsetzung des Verfahrens. Das Konzept zielt auf eine umfassende und nachhaltige Lösung ab und steht auf en drei Säulen Ökologie, Ökonomie und Patientenqualität.
Im Mittelpunkt steht der Patient
Aus den Koalitionsverhandlungen dringen aktuell Forderungen nach einem Abbau der Anzahl der Krankenhäuser in die Öffentlichkeit. So stellt sich grundsätzlich die Frage: In welchem Krankenhaus lassen sich zukünftig die Themen Ökologie und Gesundheit sinnvoll verbinden, um mehr Energieeffizienz und Ressourcenschonung, mehr Wirtschaftlichkeit und Qualitätssteigerungen zu erzielen. Darauf gibt das VDE-Positionspapier „Blue Hospital“ Antworten. Krankenhäuser müssen umdenken, da die Effizienz eines Krankenhauses wesentlich durch eine optimale Auslastung aller Teilbereiche beeinflusst wird, so eine Handlungsempfehlung aus dem VDE-Positionspapier. Unter Federführung der VDE-Initiative Mikromedizin hatte ein Expertenkreis unter anderem aus Kliniken, Dienstleistern, Beratern und Architekten 2011 das Positionspapier erstellt. „Blue Hospital verfolgt damit einen ganzheitlichen Ansatz, in dessen Mittelpunkt der Patient steht“, betont Johannes Dehm von der Deutschen Gesellschaft für Biomedizinische Technik im VDE (VDE/DGBMT). Er liefert damit eine pragmatische Vorgehensweise, die Komplexität eines Krankenhauses mit allen relevanten Einflussgrößen auf eine überschaubare Anzahl an Stellschrauben zu reduzieren. Wichtige Inhalte des Positionspapiers waren neben dem aktuellen Stand der Technik Handlungsempfehlungen für Politik, Leistungserbringer sowie Kostenträger. Eine der wichtigsten Anregungen an die Politik war es, ein bundesweites Zertifizierungsverfahren zu etablieren. Die Standardisierungsexperten der VDE/DKE haben daraufhin eine Anwendungsregel „Prozesse zur Datenerfassung sowie Bewertung und Zertifizierung der Nachhaltigkeit im Krankenhaus“ herausgegeben. Diese Regel ist als Vor-Norm inzwischen Grundlage eines speziellen Zertifizierungsverfahrens.
Zertifizierungsverfahren in zwei Schritten
Dieses gliedert sich in zwei Schritte, um eine gleichbleibende Qualität sicher zu stellen und den Auditaufwand im Krankenhaus zu reduzieren. „Bevor der Dienstleister das Krankenhaus bei der Erfassung und Bewertung von Daten für die Nachhaltigkeit beraten kann, muss er zur Qualitätssicherung zunächst seinen generischen Prozess von einer unabhängigen Drittstelle beurteilen und zertifizieren lassen“, erklärt Michael Bothe, Leiter Kategorie Medizin, Automatisierung, Labor der VDE Prüf- und Zertifizierungsinstitut GmbH. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass alle Dienstleister nach einem vergleichbaren Verfahren vorgehen, alle Prozessbestandteile dokumentiert werden und sämtliche relevanten Informationen enthalten, um einen Nachhaltigkeitsindex für das Krankenhaus zu ermitteln. Im zweiten Schritt wendet der Dienstleister den zertifizierten Prozess im Krankenhaus an, erhebt die Daten, bewertet diese nach den festgelegten Kriterien und ermittelt daraus den Nachhaltigkeitsindex innerhalb verschiedener Gruppen von Krankenhäusern mit ähnlicher Bettenzahl. Als erster Dienstleister hat Siemens Healthcare diese Zertifizierung nach dem Blue Hospital-Ansatz erfolgreich durchlaufen.
Kulturwandel im Krankenhaus einleiten
Mit dem neuen Verfahren soll auch ein Kulturwandel im Krankenhaus erreicht werden, in dem es bisher noch viele Insellösungen bei den Prozessen gibt, weil jeder Chefarzt hier eigene Wege geht. Schon bei einem vergleichsweise einfachen Bandscheibenvorfall zum Beispiel gibt es keine Übergabestandards zwischen Orthopädie und Neurochirurgie. Dies führt unter anderem zu einer doppelten Diagnostik, die nicht zuletzt unnötige Kosten verursacht. „Der größte Kostenblock im Krankenhaus ist zwar das Personal. Aber hier kann nicht mehr gespart werden, wenn die Patientenqualität aufrecht erhalten bleiben soll. Deshalb bleiben für Verbesserungen nur die Prozesse“, so Dehm. Hier kommt es gerade auf Interoperabilität an, auf Schnittstellen mit hoher Funktionalität – im Ergebnis sind deutliche Optimierungen bei der Nachhaltigkeit möglich. Um die kontinuierliche Weiterentwicklung der Prozesse im Krankenhaus aktiv weiter zu unterstützen, werden in jährlichen Abständen Überwachungs-Audits durchgeführt. Das Zertifikat ist drei Jahre gültig und kann mit jedem Wiederholungs-Audit um wiederum drei Jahre verlängert werden. Die Zertifizierung leistet insgesamt einen wichtigen Beitrag, die Wettbewerbsfähigkeit der Krankenhäuser zu verbessern und stärkt damit die Nachhaltigkeit einer ganzen Branche.